22. Januar 2009

Erbrecht in der Türkei

Erbrecht und Erbschaftsteuer in der Türkei sowie deutsch-türkische Erbschaftsfälle

Dipl.-Volkswirt, Nebi Kesen, Steuerberater

1. Einleitung
Die rechtlichen und steuerlichen Aspekte der grenzüberschreitenden Erbfälle zwischen Deutschland und der Türkei gehören inzwischen zur alltäglichen Praxis vieler Anwälte und Steuerberater sowie deutscher Behörden. Millionen von Menschen besitzen entweder die türkische oder die deutsche oder aber auch beide Staatsangehörigkeiten, von den Mischehen und deren Nachkömmlingen ganz zu schweigen. Sowohl das deutsche als auch das türkische Recht einschließlich der erbschaftsteuerrechtlichen Bestimmungen finden immer mehr Anwendung bei Erbfällen, deren Erblasser oder Erben in Deutschland leben bzw. gelebt haben. Es ist davon auszugehen, dass der Beratungsbedarf in den nächsten Jahren zunehmen wird, zumal die Anzahl der sich einbürgern lassenden Türken und Kurden, die bisher im Besitz der türkischen Staatbürgerschaft waren, kontinuierlich ansteigt. Außerdem nimmt die Bereitschaft vieler Deutscher zu, Vermögen in der Türkei zu erwerben…
2. Demographische Aspekte
Der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Deutschland weist mit zunehmendem Trend dieselbe Entwicklung wie in allen anderen entwickelten Volkswirtschaften auf. Während 1970 2.737.900 Menschen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit hier lebten, nahm diese Zahl 1980 auf 4.566.200, 1990 auf 5.582.400 und 2001 auf 7.318.300 zu. Darunter stellt die Personengruppe aus der Türkei den größten Anteil dar. So lag die Anzahl der türkischen Staatsangehörigen 2000 bei 1.998.500 und 2001 bei 1.947.900.(1) Diese Zahl betrug zum 31.12.2002 1.912.200.(2) Davon sind 679.137 Personen in Deutschland geboren. In diesen Zahlen sind die deutschen Staatsangehörigen türkischer bzw. kurdischer Abstammung allerdings nicht erfasst.

3. Erbrechtliche Bestimmungen der Türkei
3.1 Gesetzliche Erbfolgeregelungen
Die rechtlichen Grundlagen der Erbfolgeregelungen in der Türkei sind im dritten Buch des türkischen Zivilgesetzbuches (türk.: Türk Medeni Kanunu) vom 22.11.2001 enthalten.(3) Unter der Überschrift „Erbrecht“ ist sowohl die gewillkürte als auch die gesetzliche Erbfolge geregelt, wobei die letztere nur dann eintritt, wenn keine letztwilligen Verfügungen von Todes wegen vorliegen.

Die Erbberechtigung bestimmt sich in einer bestimmten Reihenfolge des Verwandtschaftsgrades. So wird nach dem Parentelsystem, das sich an das Prinzip der Blutsverwandschaft anlehnt, zwischen folgenden drei Erbordnungen (Erbrechtsgrenze) unterschieden:
- Erben der ersten Ordnung: die Abkömmlinge des Erblassers und deren Nachkommen. Die Adoptiv- und nichtehelichen Kinder sind neben den ehelichen Kindern gleichberechtigte Erben;
- Erben der zweiten Ordnung: die Eltern des Erblassers;
- Erben der dritten Erbordnung: die Großeltern und deren Abkömmlinge.
Das Ehegattenerbrecht ist im türkischen Zivilgesetzbuch auf zwei Ebenen geregelt. Zum einen fällt dem überlebenden Ehegatten je nach dem Verwandtschaftsgrad der anderen Miterben zum Erblasser von einem bis zu drei Viertel der Erbschaft zu, zum anderen ergibt sich ggf. ein Erbanspruch aufgrund des gesetzlichen Güterstandes.(4)

3.2 Gewillkürte Erbfolgeregelungen
3.2.1 Letztwillige Verfügung durch Testament
Die letztwillige Verfügung aufgrund eines Testaments ist unter der Bedingung gültig, dass der Erblasser testierfähig ist und das Testament persönlich errichtet hat. Dabei sind drei Testamentsformen nach dem türkischen Zivilrecht denkbar: öffentliches Testament, eigenhändiges Testament oder mündliches Testament.

3.3 Erbverzicht, Enterbung und Erbunwürdigkeit
Durch einen Erbverzichtsvertrag zwischen dem Erblasser und seinem Erben kann vereinbart werden, dass der letztere mit oder ohne Gegenleistung auf seinen Erbanspruch verzichtet. Diese Art der Erbfolgeregelung betrifft die pflichtteilsberechtigten Erben, die durch einen solchen Vertrag vom Erbe ausgeschlossen werden.

Erbunwürdigkeit hat zur Folge, dass die betroffenen Personen von ihrem Erbrechtsanspruch oder ihrem Anspruch auf Erfüllung des Vermächtnisses ausgeschlossen sind, und liegt z. B vor, wenn die Personen vorsätzlich und rechtswidrig für den Tod des Erblassers als Täter oder Mittäter verantwortlich gemacht werden.
3.4 Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Die Erbschaft wird angenommen, wenn der Erbberechtigte Handlungen wie z. B. Einmischung in die Nachlassverwaltung vornimmt (Vonselbsterwerb). In bestimmten Fällen wie z. B. Zahlungsunfähigkeit des Erblassers ist die ausdrückliche Annahmeerklärung des Erben bezüglich der Erbschaft zwingend erforderlich.(5)
3.5 Erbauseinandersetzung
Die Erbauseinandersetzung kann von jedem Miterben beantragt werden, es sei denn, diese würde zu einem Wertverlust des gesamten Nachlasses oder seiner Teile führen. In diesem Fall wird das Gericht auf Antrag eines anderen Miterben die Auseinandersetzung aufschieben. Eine Aufschiebung der Erbauseinandersetzung kommt außerdem in Betracht, wenn ein ungeborenes Kind im Zeitpunkt des Erbanfalls als Miterbe gilt.

3.6 Verfahrensrechtliche Aspekte
Das zuständige Friedensgericht erteilt auf Antrag den Erbberechtigten einen Erbschein, der diese als Erben ausweist. Sowohl eingesetzte Erben und Vermächtnisnehmer als auch gesetzliche Erben haben Anspruch auf Ausstellung eines Erbscheins.

4. Internationales Erbrecht
4.1 Erbstatut und Nachlassspaltung
Auf die internationalen Erbschaftsfälle in der Türkei wird das „Gesetz über das Internationale Privat- und Verfahrensrecht“ (kurz: IPRG) angewandt, das am 22.11.1982 mit Gesetz Nr. 2675 in Kraft trat.(6) Nach diesem Gesetz wird der Erbfall aufgrund des Personalstatuts des Erblassers im Todeszeitpunkt geregelt. Mit anderen Worten, das türkische Internationale Erbrecht richtet sich nach dem Staatsangehörigkeitsprinz ip (Heimatrecht).(7)

4.2 Internationale Abkommen und Zuständigkeiten
Durch Unterzeichnung mehrerer internationaler Abkommen hat sich die Türkei verpflichtet, abkommensrechtliche Bestimmungen über internationale Erbfälle in die Rechtspraxis umzusetzen. Als Beispiele können hier das Nachlaßabkommen (NA), das als Teil des am 18.11.1931 in Kraft getretenen Konsularvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei abgeschlossen wurde,(8) die „New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche“ von 1958(9) und das „Haager Abkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht“ von 1961 genannt werden. Das o. g. IPR-Gesetz und die Rechtsreform, vor allem bezüglich des Zivilgesetzbuches(10) stellen andere Beispiele für die Einführung der internationale Erbschaftsfälle regelnden nationalen Rechtsnormen dar.

5. Besteuerung von Erbschaftsfällen in der Türkei (11)
Die Erbfälle in der Türkei unterliegen der Besteuerung gemäß dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (türk.: Veraset ve Intikal Vergisi Kanunu), soweit die Voraussetzungen der persönlichen und sachlichen Steuerpflicht vorliegen. Im Gegensatz zum deutschen Erbschaftsteuerrecht wird jedoch zwischen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht nicht unterschieden. Eine weitere Besonderheit des türkischen Erbschaftsteuerrechts liegt darin, dass die persönliche Steuerpflicht ausschließlich an die Person des Erwerbers knüpft.

Bei deutsch-türkischen Erbschaftsfällen wird die Doppelbesteuerung durch Abzug bzw. Anrechnung der im jeweils anderen Staat gezahlten Erbschaftsteuer vermieden, soweit dies seitens des Steuerpflichtigen beantragt wird. Das gilt sowohl für das türkische als auch für das deutsche Erbschaftsteuerrecht.

(1) Vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2002 für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2002, S. 65.
(2) Dieser rückläufige Trend allerdings ist mit der Rückkehr der im Rentenalter befindlichen ehemaligen „Gastarbeiter“ (erste Generation) zu begründen.
(3) Siehe auch Schömmer/Faßold, Internationales Erbrecht Türkei; Ferid/Firsching, Internationales Erbrecht „Türkei“ (Loseblatt); Serozan, Das türkische Erbrecht verglichen mit dem deutschen Erbrecht: Mehr Gemeinsamkeiten als Besonderheiten, ZEV 1997, S. 473ff.; Kesen, Erbfall in der Türkei: Rechtliche und steuerliche Aspekte, ZEV 2003, S. 152-157; Ders., Länderbericht Türkei, in:
(4) Das türkische Zivilrecht kennt vier Güterstände: Errungenschaftsbeteiligung, Gütertrennung, Gütertrennung mit Aufteilung und Gütergemeinschaft.
(5) Schömmer/Faßold, Internationales Erbrecht Türkei, S. 73.
(6) Amtsblatt (türk.: Resmi Gazete) Nr. 17701 v. 22.05.1982, deutsche Übersetzung von Krüger ist abgedruckt in IPRax 1982, S. 254-256.
(7) Tekinalp, Der türkische „Gesetzesentwurf über internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht, RabelZ 1982, S. 33, 37 f.
(8) Vgl. Dörner, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen, S. 90 ff.
(9) Ausführlich Heller, Der Beitritt der Türkei zum New Yorker Abkommen, S. 248 ff.
(10) Siehe Rumpf, Das neue türkische Zivilgesetzbuch, Das Standesamt 2002, S. 97 ff.
(11) Siehe ausführlich Kesen, Die Erbschaftsteuer in der Türkei, in IWB 22/2002, S. 1103-1108; Ders., Das Steuerrecht der Türkei, S. 203-211.

1 Kommentar:

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

    AntwortenLöschen